Wie eine zufällige Begegnung das Leben eines Modefotografen für immer verändert

Rick Guidotti war gut im Geschäft. Als viel gefragter Modefotograf in den 90ern arbeitete er regelmäßig mit Supermodels wie Claudia Schiffer oder Cindy Crawford zusammen. Und mit Wohnsitzen in New York City, Paris und Mailand hatte er Aufträge von angesehenen Kunden wie Yves Saint Laurent, Revlon und Marie Claire.

Doch trotz des Glamours war er regelmäßig frustriert von der Engstirnigkeit der Branche und der vorhersehbaren Definition von Schönheit. „Mir [wurde] immer gesagt, wer hübsch ist“ sagt er. „Als Künstler aber, sah ich Schönheit nicht nur auf Titelblättern von Zeitschriften. Ich sah Schönheit überall.“

Doch eines Nachmittags änderte sich alles. Rick verließ nach einem Casting für die Zeitschrift Elle sein Studio in Manhattan und sah in der Park Avenue eine blasse junge Frau auf den Bus warten. „Ich hatte noch nie zuvor ein Model gesehen, das wie sie aussah.“ erzählt er. Und obwohl das Mädchen mit dem Bus weg gefahren war ehe er sie ansprechen konnte, veränderte dieser Anblick den weiteren Verlauf seiner Karriere und seines Lebens.

Obwohl er so gut wie gar nichts über Albinismus wusste, erkannte er bei dem Mädchen das typische Merkmal der fehlenden Pigmentierung. Sie hatte sehr blasse Haut und nahezu weißes Haar. Er fand sie hinreißend. Völlig fasziniert rannte er in die nächste Buchhandlung, um mehr darüber zu erfahren. Doch wie er so durch medizinische Handbücher blätterte, die sich mit dem Thema Albinismus auseinander setzten, war er entsetzt über die deprimierenden Fotos, die er zu sehen bekam. Viele waren nüchterne Fotos von nackten Patienten, die vor den Wänden einer Arztpraxis oder Krebsstation standen, mit schwarzen Balken über den Augen. Oder es waren Nahaufnahmen von großen, roten Augen. „Das waren Bilder von Krankheit. Das waren keine Fotos von Personen.“ erinnert er sich. „Und ich dachte mir, wo ist das Foto von diesem wunderschönen Kind, das auf den Bus gewartet hat? Sie war nicht hier.“

Rick entschied sich, Fotos zu machen, die die schöne und menschliche Seite von Personen mit Albinismus zeigen. Kurz darauf entdeckte er NOAH (National Organization for Albinism and Hypopigmentation), eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Albinismus. Er rief dort an, begeistert von der Idee andere junge Leute zu fotografieren, die ebenso schön waren, wie die Frau von der Park Avenue. Allerdings war die erste Reaktion von NOAH weitaus weniger begeistert. Jedes Fotoshooting, das sie in der Vergangenheit unterstützt hatten, war eine negative Erfahrung gewesen und die Models hatten sich benutzt gefühlt. Das letzte also was sie wollten war, die jungen Leute in ihrer Organisation noch weiter zu demütigen. Aber Rick blieb hartnäckig und irgendwann gewann er ihr Vertrauen. Er hatte die Vision Fotos zu machen, die das Gegenstück zu den entmenschlichten Portraits in den Medizinbüchern waren.

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Das erste Foto, das Rick während seiner Zusammenarbeit mit NOAH machte, war von Christine. Obwohl er sofort die Schönheit des Teenagers sah, kam sie mit herabhängenden Schultern in sein Studio und mied jeglichen Blickkontakt. Sie hatte die Erfahrung gemacht, ein Leben lang gehänselt worden zu sein, erklärt er. „Dieses Kind hatte null Selbstbewusstsein. Und ich dachte, ‚Oh, sie ist so verletzlich, wie soll ich sie nur fotografieren?‘“ Also beschloss er einfach, sie so zu fotografieren, wie er am Vortag Cindy Crawford fotografiert hatte. „Ich machte die Windmaschine und die Musik an und nahm einen Spiegel. Ich hielt den Spiegel hoch und sagte: ‚Christina, schau dich an. Du bist großartig‘. Und sie sah es. Sie sah dieses Bild und es machte boom! Und sie explodierte mit ihrem Lächeln, das buchstäblich New York City erhellte. Das war der Moment an dem mir klar wurde, wie mächtig das Medium Kamera war, um Selbstwertgefühl, Selbstakzeptanz und Schönheit zu zeigen.“

Diese erste Serie an Fotos von Menschen mit Albinismus wurde die Titelgeschichte in Life Magazine und kennzeichnet den Wendepunkt in Ricks Karriere. Aus aller Welt riefen danach Leute bei ihm an. Andere Zeitschriften griffen die Fotos auf und veröffentlichten sie. Er wurde eingeladen neue Fotos zu machen, Reden zu halten und sogar eine eigene Selbsthilfegruppe zu gründen. Und so startete er weltweit die Interessen von Menschen mit Albinismus zu vertreten – bis zum heutigen Tag.

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Puerto Rico

Außderm gründete Rick 1998 die gemeinnützige Organisation Positive Exposure und ließ die Modefotografie für immer hinter sich. Heute setzt er sich nur für Menschen mit Albinismus ein, sondern für alle, die von einer Bandbreite genetischer Leiden und Chromosomenabweichungen betroffen sind. Positive Exposure nimmt neben verschiedenen Kunstinitiativen, die Betroffenen Mut machen und inspirieren sollen, auch an Vortragsreihen und Ausstellungen teil und spricht mit angehenden Ärzten. „Jetzt geht’s darum medizinische Fakultäten zu besuchen und Ärzten in der Ausbildung die Bilder zu zeigen – die Denkweise dahingehend zu ändern, dass sie nicht eine Krankheit behandeln, sondern einen Menschen.“ erklärt Rick.

Die Geschichte von Postive Exposure wird nun im Dokumentarfilm On Beauty erzählt, der von Kartemquin Films produziert wurde und in dem Joanna Rudnick Regie führte. Der Film hat bereits etliche Auszeichnungen auf Filmfestivals erhalten und kommt im Juli 2015 in die amerikanischen Kinos.

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Rick sieht seine Arbeit für Positive Exposure als Fortführung derselben Leidenschaft an, die ihn ursprünglich zur Modefotografie brachte. „Vom ersten Tag an, als ich meine Kamera nahm und anfing Fotos zu machen, ging es immer um Schönheit. Leute sagen: ‚Oh, du hast Supermodels fotografiert und jetzt fotografierst du Menschen mit genetischen Krankheiten‘. Und ich sage: ‚Um eins klar zu stellen, ich habe mein ganzes Leben lang noch keine Genkrankheit fotografiert. Hier geht es um Menschen. Hier geht es um die Menschheit. Nichts hat sich verändert‘.“

Mit seiner Fotografie ändert Rick die Art und Weise, wie Menschen mit einem Gendefekt gesehen werden. „Es ist so aufregend Teil des Ganzen zu sein, Teil dieser menschlichen Bewegung, Schönheit in den Unterschieden zu sehen.“

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Besucht Rick’s Photostream, um mehr seiner Fotos zu sehen.

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Stella Jost

Stella ist Community Managerin für Flickr und verfasst Beiträge für den Flickr Blog. Sie lebt und arbeitet in München.

Stella is a Community Manager for Flickr and an editor on the Flickr Blog. She lives and works in Munich, Germany.