Das nächste 5 Fragen-Interview führt uns nach Hamburg. Dort treffen wir pixelwelten (auch bekannt als Rüdiger Beckmann), der mir von Philipp A. in unserem letzten Interview vorgeschlagen wurde.
Andere Flickr Mitglieder sagen Folgendes über ihn:
“Jedes seiner Bilder erzählt eine fantastische Geschichte.” — cept_id
1. Rüdiger, wir wissen, dass dies eine schwere Frage ist, aber wenn Du nur eine Kamera auswählen müsstest, mit der Du ab sofort bis zum Ende aller Tage fotografieren müsstest, welche würde das sein?
Rüdiger: Ich fotografiere am liebsten nicht mit Prismensucher, sondern mit einem großen Lichtschacht, um das Bild möglichst direkt zu fühlen. Aus diesem Grunde liebe ich die Kiev 6 sehr. Leider hat sie große Schwächen im Transportsystem. Die Hälfte der Zeit ärgere ich mich über sie, den Rest der Zeit liebe ich ihre Bockigkeit. Gegen eine wirklich perfekt vorhersehbar funktionierende Kamera würde ich sie wohl trotz allem nicht tauschen wollen – es wäre mir sicher zu langweilig, wenn da gar nichts Merkwürdiges mehr passiert.
2. Eine (möglicherweise) schwere Frage… Nenn uns Deine Lieblingsfotos auf Flickr und warum Du sie magst. Als erstes die Lieblinge aus Deinem Fotostream…
Ich würde hier normalerweise ein Aktbild wählen, denn in den Aktportraits des letzten Jahres bin ich mit den Personen, mit denen ich arbeite, einen grossen Schritt weiter gekommen.
Das “Portrait von Rosa” ist ein schönes Beispiel für meine guten Bilder. Es entstand mit einer mir geschenkten Pentacon Six, die sich später als defekt herausstellte (der helle Streifen rechts entsteht durch einen defekten Verschluss, der die Bilder munter überbelichtet, zudem ist das Objektiv locker und defokussiert unkontrollierbar). Die Dame ist nicht ins rechte Licht gerückt und zeigt uns auch keine Schokoladenseite, fototechnisch ist hier also alles erdenklich schief gelaufen. Und trotzdem stimmt alles.
Das Bild ist viel intensiver als die technisch perfekten Bilder aus dieser Session. Es ist nicht nur ein Abbild der Situation, sondern es ist der Grund, warum sie eigentlich da ist, bei mir in meiner Küche. Und sie weiss, dass sie nicht kontrollieren kann, was am Ende herauskommen wird. Aber sie merkt, dass sie der Situation vertrauen kann.
"Die poetische, diffuse Atmosphäre schickt mein Gehirn auf Wanderschaft; ich schaue es mir stundenlang an, ohne wirklich etwas zu erkennen, und sehe dabei so viel", schrieb mal jemand darüber. Es freut mich sehr, wenn das passiert. dafür lebe ich.
…und von einem anderen Flickr Mitglied?
Rüdiger: Ich habe dieses Bild gewaehlt, weil ich es gern gemacht hätte.
In Millionen von Bildern dieser ganzen Fotografen-und-Model-Communities geht es um sehr eitlen Kram: man beweist sich gegenseitig, was man Tolles knipsen kann, oder was man Tolles zu bieten hat, und wie geil man sich dabei fühlt.
In diesem Bild sehe ich eine Beziehung von zwei Menschen zueinander. Ich sehe ein Vertrauen, einen Respekt und eine Ruhe, die auch mich innehalten und ruhig werden lässt. Ich genieße es, denn dieser Moment in diesem Bild bleibt für immer bestehen, auch wenn das Leben – für sie, für ihn und auch für mich – danach vielleicht ganz verschieden weitergeht.
Die Fotografie hat eine ungeheure Macht, die Zeit stillstehen zu lassen.
3. Welchen speziellen Tipp würdest Du jemandem geben, der gerade mit dem Fotografieren anfängt?
Rüdiger: Du wirst merken, dass sich Deine Fotografie mit jeder neuen Kamera verändert. Das ist spannend und gut. Mach Dich deshalb möglichst unabhängig von Produktionsmitteln.
Lerne viele Leute kennen, und leih Dir ihre tollen Kameras aus, bevor du Dich für eine eigene teure entscheidest. Ich bin vielen Leuten sehr dankbar für diese Gelegenheit, auch wenn die Kameras das leider nicht immer unbeschadet überstanden haben (sorry!).
Verzichte nach Möglichkeit auf religiöse Gefechte mit Markenjüngern, die nur aufgeschnappte Phrasen nachbrabbeln und ihre Investitionen mit Scheuklappen rechtfertigen. Hasselblad ist besser als Leica, Nikon ist besser als Canon, Holga ist besser als digital? Nonsens.
Alle Kameras sind verschieden, und sie tun verschiedenes für Deine Bilder. Bleibe immer offen für das, was wirklich passiert, und werde kein Sklave dessen, was Du dir vorher schon im Hinterkopf zurechtgelegt hast.
Das gleiche gilt für die fotografische Erfahrung: Alles, was Du Dich trauen wirst, hängt in Deinem Kopf eigentlich davon ab, was du bereits kannst. Es nützt Dir nichts, wenn Anspruch und Wirklichkeit sich nicht decken.
Es ist aber auch kein Grund zum verzweifeln, denn du bist noch lange nicht gescheitert. Damit fängst du erst an. Der Weg zu deinen eigenen Bildern ist das wirklich Spannende. Höre auf die ganzen tollen Dinge, die dir auf diesem Weg geschehen. Erst dann hast du anderen etwas Persönliches zu zeigen.
Ach ja, und noch etwas Wichtiges:
Ich bin ziemlich froh, dass ich mit dem Knipsen anfing, bevor es das Internet gab. Die Idee, dass ich meine allerersten Bilder bereits allen anderen Fotobegeisterten auf der ganzen Welt aussetzen müsste, behagt mir überhaupt nicht. Schau dir gut an, welches Feedback du aus der Community bekommst, und überprüfe dich hin und wieder, ob du nicht plötzlich nur noch Fotos machst, die gut ankommen. denn das sind wahrscheinlich nicht die Sachen, die dir selbst auf lange sicht wichtig sind.
Oder wie es Björk mal ausdrückte: “Gefalle dir selbst, dann gefällst du auch anderen. Wenn du nur anderen gefallen willst, gefällst du niemandem.”
4. Wenn wir ein Einstellungsgespräch mit jemanden führen, der Teil des Flickr-Teams werden will, fragen wir immer : "Kätzchen, Babys, Sonnenuntergänge oder Blumen? Wähle eins aus.”
Rüdiger: Ich habe vorher gespickt, wie die anderen geantwortet haben, deshalb nehm ich keins der Frauenportraits, auf dem zufällig auch ein Sonnenuntergang drauf ist, das finde ich etwas geschummelt.
In diesen vier Kategorien kommt für mich nur “Babys” in Frage, denn es ist das einzige Menschenthema. Meine Bilder ohne Menschen bedeuten mir irgendwie immer nur die Hälfte – wenn überhaupt.
5. Welchem Flickr Mitglied sollten wir diese Fragen als nächstes stellen?
Rüdiger: Das war die schwerigste Frage, denn es kommen viele gleichermaßen in Frage. Leute, die thematisch nah dran sind, und auch welche, die ganz anders unterwegs sind, aber geilen Scheiss machen.
Hier könnten jetzt viele Namen stehen. Es ist bewusst niemand aus Hamburg und aus dem direkten Freundeskreis, weil sie mir zu nah erscheinen.
Ich habe mich schweren Herzens für Snjezana Josipovic entschieden.
Weil ich ihre bilder nachfühlen kann, obwohl sie mir noch nie begegnet ist.
Weil ich ein, zwei Dinge las, die sie schrieb, die sie mir verwandt erscheinen lässt, obwohl natürlich fotografisch durch unsere verschiedenen Situationen völlig anderes dabei entsteht.
Und weil ich mich bei Flickr neben den Bildern immer wieder sehr über ihren humorvollen Einsatz von Bildertags freue.
Kay: Herzlichen Dank für das Interview, Rüdiger. Die 5 Fragen sind bald zurück mit snjezana..
Fotos von pixelwelten, yannic.schon und snjezana..
5 Fragen wurden bisher gestellt an: Sophie Saller, Birgit Richter, Marlon Kowalski, Silvia, Paul Hiller, Adrian Bach, Christian Protte, Mareen Fischinger, Sebastian Waters, Ailine Liefeld, Severin Koller, Friedrich "Fred" Schiller, Philipp Albrecht.